Der Heilige Schein des Kapitals

Zur Kritik des ungeglaubten Glaubens

Donnerstag, 11.12. 2008, 19.30 Uhr, Infoladen Bremen, St.-Pauli-Strasse 10/12, 28203 Bremen

Mit Lars Quadfasel

Kritik der Religion hat es im Spätkapitalismus mit einem Paradox zu tun. Die christlichen Kirchen, einst Herrn über Könige und Kaiser, sind zum Hilfsinstitut für Seelenhygiene herabgestürzt, ihre Dome und Kathedralen fungieren hauptsächlich als Touristenattraktionen, ihre Prediger als Showmaster und ihr Papst als österlicher Grußaugust – aber als sentimentales Andenken an frommere Tage scheint Gott sich wiederum pudelwohl zu fühlen. Widerlegt, erledigt und entmachtet, hat sich die Religion mit ihrem Sturz nicht bloß arrangiert, sondern daraus neue Kraft geschöpft; Kraft, die sich dort austoben darf, wo die Gesellschaft es sich als Privatangelegenheit nichts angehen lässt: Ficken und Sterben und Kindererziehung. Und spätestens seit der weltweite Erfolg der islamischen Glaubensoffensive auch im vorgeblich aufgeklärten Westen angekommen ist, gelten »religiösen Gefühle« wieder als unbedingt zu schützendes Gut. Hauptsache, die Leute glauben, und sei es auch an Djihad, Scharia und Frauenhass. Wer da sein Herz nicht für die eingeborenen Kulte entdeckt, darf dann ganz multikulturell sich buddhistisch erleuchten lassen und einem abgesetzten tibetanischen Feudalherren zujubeln. Ein Irrtum wäre es allerdings zu glauben, dass all die Anhänger von Pat Robertson und Rev. Farrakhan, von Papst Ratzeputz und Seiner Heiligkeit dem Dalai Schmunzelmonster dabei wirklich glaubten. Die von den Toten auferstandene Religion, bar jeder gesellschaftlicher Substanz, repräsentiert einzig den Wunsch nach einem Halt, egal woran – nach Autorität sans phrase. Adorno nannte derartige Pseudoreligiösität, die von Blasphemie kaum zu unterscheiden ist, ungeglaubten Glauben. Deren Bedeutung verfehlen all die wackeren liberalen Religionskritiker wie Christopher Hitchens oder Richard Dawkins, die in Bestsellern den Heiligen Schriften ihre Fehler nachweisen und dabei die Religion auf Priestertrug reduzieren. Zu diskutieren wird vielmehr sein:

– warum der ungeglaubte Glauben seine genuine Gestalt im Konsum des Glaubens der Anderen findet – und dabei quasi naturwüchsig zur Kulturindustrie tendiert;

– warum die bürgerliche Gesellschaft sich, ganz ohne Gottes Beistand, selber Verklärung genug ist – und sich dennoch der kapitale Kult seiner jenseitigen Konkurrenz nicht einfach entledigen mag;

– warum eine Kritik des Monotheismus, die nicht geschichtsblind sein will, gerade nicht ‚an der Wurzel‘, also bei Moses und Abraham, sondern in der Gegenwart, bei Djihad und christlich-deutschem Judenhass, ansetzen sollte;

– warum also gegen den Atheismus der Wahrheitsgehalt des Materialismus und gegen die Pfaffen der Wahrheitsgehalt der Theologie zu retten ist.

Lars Quadfasel ist Kindergärtner und assoziiert in der Hamburger Studienbibliothek. Er publiziert unter anderem in konkret, jungle world und taz.

Eine Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Initiative in Kooperation mit der Redaktion der Zeitschrift „Extrablatt – Aus Gründen gegen fast Alles“.