Staat und Globalisierung. Zur Aktualität materialistischer Staatskritik

Podiumsdiskussion am Freitag 29. Februar 2008 / 20 Uhr; Tagesseminar am Samstag 1. März 2008 / 12 – 19 Uhr
Beide Veranstaltungen im Infoladen Bremen, St.-Pauli-Str. 10-12, 28203 Bremen

mit Ingo Elbe (rote ruhr uni Bochum) / Ingo Stützle (Berlin) / Heide Gerstenberger (Universität Bremen)

In den aktuellen Debatten um Globalisierung wird meist eine Transformation staatlicher Souveränität und eine Verlagerung hin zu supranationalen Institutionen wie IWF, WTO, Weltbank etc. konstatiert. Globalisierungskritische Akteur_innen wie nicht nur attac fordern vor diesem Hintergrund eine stärkere staatliche Intervention und Regulation ökonomischer Prozesse. Aber auch antirassistische und linksradikale Globalisierungskritiker_innen beziehen sich mit ihren Forderungen nach „globalen sozialen Rechten“ wie dem Recht auf Bewegungsfreiheit, Recht auf Ernährungssouveränität, Existenzgeld etc. auf einen staatlichen Souverän, den es zur Gewährung und zukünftigen Garantie dieser erwünschten Rechte bedarf. Die Kritik der „Sozialstaatsillusion“ initiierte in den 1970er Jahren in Westdeutschland die Staatsableitungsdebatte um die Formbestimmung des bürgerlichen Staates. Angesichts der idealistischen Vorstellung vieler Globalisierungskritiker_innen, der Staat habe dem Allgemeinwohl zu dienen, woran die herrschenden Staatschef_innen bei den diversen Gipfeltreffen stets erinnert werden, scheint die Frage nach der Formanalyse des Staates nach wie vor aktuell. Aber auch an der auf Lenin zurückgehenden Interpretation vom „Staat als Instrument der herrschenden Klasse“ liefert die Ableitungsdebatte eine fundierte Kritik. Nach der Argumentation der Formanalyse bedarf die Warenproduktion und –zirkulation der gegenseitigen Anerkennung der warenproduzierenden Individuen als freie und gleiche Privateigentümer_innen. Als allgemeiner Souverän garantiert der Staat mittels seines Gewaltmonopols das Recht seiner Staatsbürger_innen ebenso wie das Eigentum an Produktionsmitteln. Als „Staat des Kapitals“ (Agnoli) dient er der Garantie der Reproduktion kapitalistischer Verhältnisse im allgemeinen (was in konkreten Fällen auch den Interessen einzelner Kapitalist_innen und Kapitalfraktionen widersprechen kann) und ist kein bloßes Instrument weniger mächtiger Monopolherrn. Liegt der Fokus der Formanalyse auf der abstrakten Bestimmung des Staats aus der Waren- und Rechtsform, so konzentriert sich Poulantzas in seinem Buch „Staatstheorie“ auf soziale Kämpfe und Klassen und ihrer Bedeutung für den Staat. Anknüpfend an die hegemonietheoretischen Überlegungen von Gramsci und Althusser formuliert Poulantzas seine These vom „Staat als materielle Verdichtung von Kräfteverhältnissen“. Mit Bezug auf Poulantzas versuchen aktuell verschiedene Autor_innen Globalisierungsprozesse mit dem Begriff der „Verdichtung zweiten Grades“ als erweitertes Terrain sozialer Kämpfe zu beschreiben. „Notwendiger Ausgangspunkt für eine erneute Diskussion über die politische Form des Kapitalismus ist die Kritik der historischen Bornierung der Ableitungsdebatte“ (Gerstenberger). Angesichts der Abwesenheit bzw. Instabilität staatlicher Souveränität in Regionen der Peripherie oder Privatisierungsprozessen staatlicher Funktionen wie Gefängnissen und Militär- und Polizeidiensten in den kapitalistischen Zentren besitzen Fragen nach der historischen Entstehung des bürgerlichen Staates und seiner Transformationen eine nicht unerhebliche Relevanz.

In der Podiumsdiskussion sollen die theoretischen Potentiale und Grenzen sowohl der Ableitungsdebatte als auch von Poulantzas für die aktuellen Dikussionen um Staat und Globalisierung diskutiert werden. Im Seminar am nächsten Tag (Programm) soll in drei Workshops dann detaillierter in die materialistische Staatstheorie eingeführt werden.

Anmeldung und vorbereitende Lektüre sind für das Tagesseminar nicht erforderlich.

Podiumsdiskussion und Tagesseminar werden veranstaltet in Kooperation mit der associazione delle talpe.