Antiziganistische Zustände – Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments: Bookrelease, Vorträge und Diskussionen

Samstag, 6. Juni 2009, 10.30 – 20.00 Uhr Kommunikationszentrum paradox, Bernhardstr. 12, 28203 Bremen

In nahezu allen Staaten Europas werden Menschen als „Zigeuner“ diskriminiert und teilweise verfolgt. Es scheint unmöglich, eine Beschreibung von Roma, also der Gruppe die am stärksten von Ausgrenzungen betroffen ist, jenseits romantisierender oder ablehnender Stereotype zu finden. Trotz dieser Umstände mangelt es an politischen und theoretischen Analysen. Das gilt auch für eine linke Kritik, die oft nicht über moralische Empörung hinaus geht. Im Mai 2009 ist bei Unrast ein Buch erschienen, das unter dem Titel „Antiziganistische Zustände – Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments“ neue Ansätze für eine gesellschaftskritische Diskussion versammelt. Einige der Beiträge des Bandes vorzustellen sowie daran anknüpfende Themenbereiche zu bearbeiten, ist das Vorhaben dieser bookrelease – Veranstaltung. Im ersten Teil der Veranstaltung sollen die gesellschaftlichen Ursachen des Antiziganismus und eine strukturelle Verkopplung zwischen Antiziganismus und Kapitalismus verdeutlicht werden. Dazu ist es notwendig, „Zigeuner“ als Produkt einer umfassenden Konstruktionsleistung zu betrachten, um nach deren Facetten zu fragen: Welche Muster ermöglichen es, das Produkt „Zigeuner“, so wie es uns dargereicht wird – als wild, frei und musikalisch auf der einen Seite und als faul, stehlend und vaterlandslos auf der anderen Seite – aufrechtzuerhalten und stets aufs Neue zu reproduzieren? Dies rückt die Funktionen, die dieses Ressentiment in den Weltbildern der bürgerlichen Subjekte erfüllt, in den Fokus unseres Interesses. Am Nachmittag finden parallele Veranstaltungen statt, die eher als Arbeitsgruppen angelegt sind. Unter anderem werden aktuelle Erscheinungen des Antiziganismus in Rumänien und Italien problematisiert. Daneben soll sich mit der gesellschaftlichen Konstruktion von „Zigeunerbildern“ am Beispiel von Kinder- und Jugendliteratur auseinandergesetzt werden. Eine weitere Arbeitsgruppe wird sich an konkreten Beispielen damit beschäftigen, wie auch forcierte gedenkpolitische Auseinandersetzungen mit dem nationalsozialistischen Massenmord wesentlich in antiziganistischen Diskursmustern verhaftet bleiben. Zum Abschluß des Tages soll mit einer Filmvorführung sowie begleitender Diskussion die Situation von Roma-Flüchtlingen, deren prekärer Status in der BRD und häufige Folgen von Abschiebungen in sogenannte Herkunftsländer, sowie weitergehend die Möglichkeit anti-antiziganistischer Praxen Thema sein. Den ganzen Tag über wird es Kaffee, Tee, Obst und Süßes geben. Kaltgetränke und Bücher sind käuflich am Info-Tisch zu erwerben. Am Vorabend wird es für alle Interessierten und bereits Angereisten einen Kneipenabend geben:Freitag, 05.06., 22 Uhr, im Rotkäppchen, Am Dobben 97.

Hinkommen: Das Kommunikationszentrum paradox liegt in unmittelbarer Nähe zur Straßenbahnhaltestelle „Sielwall“ (Linie 3 und 10 von Hbhf, Linie 2 von Domsheide). Einfach an der Sielwallkreuzung die Straße Sielwall reinlaufen in Richtung Weser, erste kleine Straße rechts rein ist die Bernhardstraße.

Programm:

10.30 Uhr Zur Notwendigkeit einer antiziganismuskritischen Debatte

11.00 – 13.00 Uhr Theorien des Antiziganismus: 11.00 Uhr Ansätze zu einer Kritik des Antiziganismus mittels Kritischer Theorie – Markus End 11.30 Uhr Antiziganismus und Ausnahmezustand – Roswitha Scholz 12.00 Uhr Diskussion

13.00 – 14.00 Uhr Mittagspause (selbstorganisiert)

14.00 – 15.25 Uhr Parallele Arbeitsgruppen (1. Block)

A Übergriffe gegen Romaflüchtlinge in Italien und rassistische Hetzkampagnen. – Katrin Lange In Italien greifen antiziganistische Stimmungsmache durch die Politik, Hetze gegen Roma und Sinti durch die Medien und antiziganistische Übergriffe durch die Bevölkerung in den letzten Jahren immer unheilvoller ineinander. Diese Entwicklung ist auch Teil von Faschisierungs-Tendenzen seit dem Regierungsantritt Berlusconis, aber bei weitem nicht alleine dadurch zu erklären. Antiziganistische Ressentiments sind vielmehr in der italienischen Mehrheitsbevölkerung seit langem weit verbreitet. In diesem Workshop soll anhand von konkreten Beispielen der zunehmende Antiziganismus der letzten Jahre vor dem Hintergrund seiner strukturellen Verankerung (Stichwort „Nomadencamps“) beleuchtet werden. Gleichzeitig werden Protagonist_innen eines Widerstandes gegen diese Entwicklungen vorgestellt.

B Szenarien des Erinnerns. Zur Praxis des Gedenkens an den NS-Völkermord – Kathrin Herold/ Yvonne Robel Im ersten Schritt werden wir gemeinsam schlaglichtartig thematisieren, seit wann und in welchen Formen Gedenken an den NS-Völkermord an den Roma in der BRD stattfindet bzw. welche Verwerfungen diese spezifische Erinnerungskultur präg(t)en. Dass sich auch im Gedenken antiziganistische Stereotype festmachen und fortschreiben, wollen wir anhand verschiedener Beispiele aufzeigen und einordnen. Die Diskussion dieser Arbeitsgruppe soll sich darauf richten, wie ein Gedenken jenseits der Produktion neuer Bilder und Denkmuster funktionieren könnte bzw. was einen emanzipatorischen Erinnerungsprozess ausmachen sollte.

15.25 – 15.35 Uhr kurze Pause

15.35 – 17.00 Uhr Parallele Arbeitsgruppen (2. Block)

C Was rumänisches nation-building, ethnisierte Arbeitsteilung und gegrillte Schwäne miteinander zu tun haben. – Anda Nicolae Vladu/ Malte Kleinschmidt Wir wollen die „Zigeuner“-Bilder und nationalen Mythen in der heutigen rumänischen Gesellschaft an aktuellen Beispielen veranschaulichen und den gegenwärtigen Antiziganismus analysieren. Die antiziganistischen Stereotype stehen in einer Kontinuität; sie ziehen sich von der Zeit der Aufklärung und Sklaverei über „Großrumänien“, das faschistische Regime Antonescus, das nationalistisch-kommunistische Regime Ceauşescus bis in die heutige Zeit des neoliberalen EU-Mitgliedstaates. Vor dem Hintergrund der Geschichte Rumäniens und des rumänischen Antziganismus wollen wir folgende Thesen entwickeln: Seit der rumänischen Aufklärung (ab 1800), im Zuge der Erfindung der rumänischen Nation, findet die Rassifizierung als „Zigeuner“ statt. Mit der Entstehung der kapitalistischen Klassengesellschaft geht die Entstehung des „modernen“ Antiziganismus einher. Rassismus dient dem Projekt der herrschenden Klasse, ihre Herrschaft über eine Unterklasse auszubauen und zu legitimieren. Aber auch die Existenz einer Unterklasse ist Voraussetzung für den Rassismus. Unsere Veranstaltung soll der Versuch einer Annäherung sein, die wir zur Diskussion stellen wollen.

D Romantisieren, Kriminalisieren, Pädagogisieren – Zur gesellschaftlichen Konstruktion des „Zigeuners“ in der neueren Kinder- und Jugendliteratur – Petra Maurer Dieser Workshop beschäftigt sich mit antiziganistischen Bildern in neueren Kinder- und Jugendbüchern. Wie und wo sich diese Konstruktionen in antiziganistische gesellschaftliche Zustände einschreiben, lässt sich nicht exakt belegen, ihre Bedeutung liegt jedoch auf der Hand und bildet den Hintergrund dieses Workshops. Nach einer kurzen theoretischen Einleitung über die Figur des „Zigeuners“ in der Kinder- und Jugendliteratur seit dem 19. Jahrhundert, tauchen wir direkt in die literarische Praxis ein: Wie konstruieren Autor_innen der Mehrheitsgesellschaft in verschiedenen Kinder- und Jugendbüchern die Figur des „Zigeuners“? Anhand ausgewählter Textstellen werfen wir Licht auf romantisierende, kriminalisierende und pädagogisierende Facetten dieser Figurenkonstruktion und stöbern literarische Versuche auf, den erstarrten, antiziganistischen Zuschreibungen etwas entgegenzusetzen.

17.00 – 17.30 Uhr Pause mit Kaffee, Tee und Kuchen

17.30 Uhr Anti-Antiziganistische Praxen? Diskussion und Filmbeitrag, mit Djevdet Berisa, Bleiberechtsaktivist Am 04.06.09 protestier(t)en zum wiederholten Mal Roma-Flüchtlinge und unterstützende Gruppen anlässlich der Innenministerkonfererenz in Bremerhaven für ein Bleiberecht für Roma aus dem Kosovo. Zum Jahresende rechnen Beobachter_innen mit einem Anstieg der Abschiebungen. Über die Situation der Flüchtlinge sowie Herausforderungen einer Bleiberechtsbewegung soll informiert werden. Wie lassen sich Erkenntnisse aus der Theorie und Kritik an eine antirassistische Praxis anschließen? Wie kann Aufklärungsarbeit stattfinden und gleichzeitig die Reproduktion von stereotypen Abbildungen durchbrochen werden? Wie lässt sich ein größeres gesellschaftliches Bewusstsein für Antiziganismus erreichen?

20.00 Uhr vegetarisch/veganes Abendessen, Heiß- und Kaltgetränke (gegen Unkostenbeitrag), gemeinsamer Ausklang

Eine Anmeldung ist nicht zwingend erforderlich, jedoch für die Planungen (insbesondere des Abendessens) sehr hilfreich. Anmeldung, Kontakt, Fragen: k.herold(ädt)rosa-luxemburg.com

Der Sammelband „Antiziganistische Zustände. Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments“ – Hrsg. von Markus End, Kathrin Herold und Yvonne Robel (Münster, Unrast) ist ab Mitte Mai 2009 im Buchhandel erhältlich. Seine Herausgabe wurde 2009 von der Rosa-Luxemburg-Stiftung finanziell gefördert.

Veranstalter: Rosa-Luxemburg-Initiative in Kooperation mit dem Autor_innenkollektiv „Antiziganistische Zustände“ .